Donnerstag, 5. Juni 2014

Indirekt-Passiv in anderen Sprachen

Ich habe im Artikel Indirekt-Passiv die Umwandlung des indirekten Objekts aus einem aktiven Satz zum Subjekt eines passiven Satzes beschrieben.
Das gibt es nicht nur im Deutschen.

Auch im Englischen ist diese Bildungsform sehr üblich, sogar ähnlich häufig wie das normale Passiv:
Indirekt-Passiv: "I got my phone taken away" (221 000 Google-Hits)
Passiv: "my phone was taken away" (240 000 Google-Hits)

Das englische "to get" wird als Hilfsverb benutzt, entsprechend dem deutschen "kriegen".
Das deutsche "kriegen" wird hingegen nur für das Indirekt-Passiv eingesetzt.
Dem gegenüber wird "to get"sowohl für das normale Passiv als auch für das Indirekt-Passiv genutzt

Im Spanischen existiert zwar eine Bildungsform für das Indirekt-Passiv, wird aber seltener eingesetzt.
Man benutzt das Hilfsverb "tener", kann aber nicht klar zwischen den beiden Passiv-Formen unterscheiden:
Folgendes kann bedeuten "mir wurde ... weggenommen" und "ich habe ein weggenommenes ...":
Indirekt-Passiv: "tengo quitado ..." (41 000 Google-Hits)
Passiv: "... fue quitado" (90 000 Google-Hits)
Passiv-Umschreibung: "me quitaron ..." (1 010 000 Google-Hits)
Häufiger ist die Umschreibung des Passivs durch ein Aktiv mit unpersönlichen Plural-Subjekt.

Das Französische benutzt auch gerne die Umschreibung mit einem unpersönlichen Subjekt.
Immerhin kann man durch das Hilfsverb "se faire" auch das Indirekt-Passiv ausdrücken:
Indirekt-Passiv: "je me suis fait volé ..." (174 00 google-Hits)
Indirekt-Passiv alternativ: "je me suis fait voler" (617 000 Google-Hits)

Passiv: "... a été volé" (4 950 000 Google-Hits)

Passiv-Umschreibung: "on m' a volé ..." (2 820 000 Google-Hits)

Nur im Deutschen werden unterschiedliche Hilfsverben für die beiden Passiv-Varianten eingesetzt:
Passiv: "werden"
Indirekt-Passiv: "kriegen" oder "bekommen"
Im Englischen und Französischen ist das Indirekt-Passiv nur daran zu erkennen, dass ein direktes Objekt vorkommt, nur dann ist das Subjekt aus einem indirekten Objekt abgeleitet worden.

Die hier erwähnten Bildungsformen entsprechen natürlich nicht der Schulbuch-Grammatik.
Obwohl die Sprechweisen sehr üblich sind, werden sie in Schulbüchern nicht beschrieben.
Besonders der Begriff des "Hilfsverbs" ist etwas erweitert worden.
Auch der Begriff des "Passivs" ist allgemeiner aufgefasst worden:
Es tritt hier aber grundsätzlich zusammen mit einem Partizip Passiv auf.

Indirekt-Passiv

In den meisten Sprachen kann man die passive Form eines Satzes benutzen, um den Ausführenden unerwähnt zu lassen. Dabei wird das direkte Objekt des aktiven Satzes zum Subjekt des passiven:

Aktiv: "Das Jugendamt nimmt dir den Sohn weg"
Passiv: "Der Sohn wird dir (durch das Jugendamt) weggenommen"

Dabei verwandelt sich der Akkusativ des direkten Objekts - "den Sohn" -
in einen Nominativ - "der Sohn" - durch Benutzung des Hilfsverbs "werden"

Ein indirektes Objekt kann man auf diese Weise nicht zum Subjekt machen.
Die deutsche Umgangssprache kennt jedoch eine Art Indirekt-Passiv.
Sie bedient sich dazu der Verben "bekommen" oder "kriegen" als Hilfsverben.
In dieser Konstruktion wird das indirekte Objekt im Dativ - "dir" -
zu einem Subjekt im Nominativ - "du":

Aktiv: "das Jugendamt nimmt dir den Sohn weg"
Indirekt-Passiv: "Du kriegst (durch das Jugendamt) den Sohn weggenommen"

In Google kann man die Häufigkeit dieser Konstruktion erkennen, aber sie wird häufiger gesprochen als geschrieben:
Indirekt-Passiv: "weggenommen bekommen" (12 200 Google-Hits)
Passiv: "wurde weggenommen" (3 840 Google-Hits)

Dieser Zusammenhang wird auch in folgenden Artikeln erläutert, häufig mit dem Begriff "Bekommen-Passiv":
http://hypermedia.ids-mannheim.de/call/public/fragen.ansicht?v_id=93
Forschungsberichte des Instituts für deutsche Sprache
http://www.deutschegrammatik20.de/passiv/passiversatz-bekommen-gehoeren/
Leirbukt, Oddleif: "Untersuchungen zum Bekommen-Passiv im heutigen Deutsch"

Ich kenne etliche vergleichbare Konstruktionen in anderen Sprachen.