Montag, 16. Mai 2016

Arabische Dialekte

"Hocharabisch ist niemandes Muttersprache". Das ist die wichtigste Erkenntnis für jemanden, der arabisch lernen will (siehe Quellenangabe am Schluss des Artikels).

Wenn man also arabisch sprechen will, sollte man zuerst einen Dialekt lernen. 

Viele syrische Freunde haben mir bestätigt, dass man für verrückt gehalten wird, wenn man Hocharabisch auf der Straße spricht. Meine eigene Erfahrung in arabischen Ländern ist: Wer eine hocharabische Frage stellt, bekommt eine englische Antwort. Hierzu gibt es einen guten Blogbeitrag;
http://www.talkinarabic.com/learn-modern-standard-arabic-or-a-dialect/


Hocharabisch wird in der arabischen Welt geschrieben und gelesen wie Hochdeutsch in der Deutsch-Schweiz. Trotzdem spricht man in der Schweiz weder Hochdeutsch auf der Straße noch spricht man Hocharabisch in den arabischen Ländern.

Der große Vorteil beim Lernen: Die arabischen Dialekte sind einfacher aufgebaut und stehen den europäischen Sprachen näher. In der Umgangssprache werden die komplizierten Endungen der Wörter (z.B. Kasusendungen) weggelassen, ähnlich wie im "Küchenlatein" oder im Neugriechischen im Verhältnis zum Altgriechischen. Auch die Aussprache wird vereinfacht.

Ein typischer Vorschlag aus der arabischen Welt ist es jedoch, Hocharabisch zu lernen, weil man sich einen Dialekt von alleine angewöhne. Das ist jedoch ein Denkfehler in didaktischer Hinsicht. Niemand würde fordern: "Lerne erstmal Integralrechnung, dann kannst du das Addieren davon ableiten".

Jeder Araber spricht zuerst seinen Dialekt und lernt dann mühsam, mehr oder weniger Hocharabisch zu sprechen und zu verstehen. Weil es seinen Aussagen Prestige verleiht, wird er immer behaupten, dass Hocharabisch vorteilhafter ist. Er vergisst dabei, dass es für Ausländer genau umgekehrt funktioniert.

Hocharabisch funktioniert für das tägliche Leben in der arabischen Welt genauso schlecht wie Latein in den Ländern der romanischen Sprachfamilie, die aus dem Lateinischen entstanden ist. Wer hat schon mal probiert, in einem französischen Restaurant auf Lateinisch sein Essen zu bestellen?

Jede Unterhaltung in Hocharabisch bleibt distanziert, aber sobald ein Dialekt ins Spiel kommt, wird es emotional. "Sprich mit jemandem eine Sprache, die er versteht, dann erreichst du seinen Verstand. Sprich seine Muttersprache, dann erreichst du sein Herz" (Mandela). In der Familie und im Freundeskreis wird man immer seinen Dialekt sprechen und wer nur Hocharabisch gelernt hat, bleibt davon ausgeschlossen.

Aber welchen Dialekt soll ich nun lernen? In Berlin wird von den arabischen Dialekten augenblicklich am häufigsten Syrisch-Libanesisch gesprochen, es würde sich also hier lohnen, diesen Dialekt zu lernen. Diese Auswahl ist jedoch weniger wichtig, weil sich die Dialekte weniger voneinander unterscheiden, als vom Hocharabischen. Hier ein Beispiel:

Was?


Umschrift

Arabisch         

Hocharabisch madha? ماذا؟
Syrisch schu? شو؟
Marokkanisch aschnu?  أشنو؟
Ägyptisch äsch?  أيش؟

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"MSA is nobody's mother tongue" (Coulmas, 1987; Joseph, 1987)
Aus "Current Issues in Bilingualism: Cognitive and Socio-linguistic Perspectives" (herausgegeben von Mark Leikin, Mila Schwartz, Yishai Tobin):


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